
Haben Sie schon einmal erlebt, dass sich in einem Team, einem Meeting oder einer Organisation „etwas“ verändert – die Stimmung kippt, Allianzen verschieben sich, Führungspersonen verlieren an Einfluss oder gewinnen ihn, ohne dass klar wäre, warum? Solche Phänomene sind keine Zufälle. Sie sind Ausdruck unbewusster Dynamiken, die in jeder Gruppe wirksam sind – jenseits der offiziellen Agenda.
Gruppenbeziehungskonferenzen (Group Relations Conferences) bieten einen Raum, in dem diese verborgenen Prozesse sichtbar, erlebbar und analysierbar werden.
Woher kommt der Ansatz?
Die Ursprünge der Gruppenbeziehungskonferenzen liegen in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts. In London, am Tavistock Institute of Human Relations, entwickelten Forscher wie Wilfred Bion, Eric Trist und Ken Rice ein neues Verständnis von Gruppenprozessen: Sie untersuchten nicht nur das, was Menschen in Gruppen tun, sondern auch das, was sie unbewusst „mit der Gruppe“ tun.
Aus dieser Forschung entstand ein Konferenzformat, das bis heute einzigartig ist. In einem temporären, experimentellen Arbeitsrahmen treten die Teilnehmer*innen in Beziehung zueinander, um an der Aufgabe zu arbeiten, „das System“ in Echtzeit zu erforschen: Wer übernimmt Führung? Wer folgt? Wie entstehen Konflikte, Allianzen, Projektionen?
Kein Seminar, sondern ein Labor für Führung und Gefolgschaft
In Gruppenbeziehungskonferenzen wird nicht über Führung gesprochen – sie wird erlebt. Die Konferenz ist ein Laboratorium für die eigene Rolle in sozialen Systemen. Man untersucht, welche bewussten und unbewussten Faktoren das eigene Führungsverhalten beeinflussen, wo man sich in Gefolgschaft begibt, und wie das Zusammenspiel mit anderen das „System Gruppe“ steuert.
Dabei wird spürbar, dass Organisationen weit mehr sind als Organigramme oder Strategiepläne. Sie sind Beziehungsgeflechte, in denen Ängste, Wünsche, Abwehrmechanismen und Machtfantasien genauso wirken wie rationale Argumente.
Anwendungsfelder in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
Der Nutzen dieser Konferenzen geht weit über die Grenzen von Gruppentherapie und Beratung hinaus. Gerade in Wirtschaft und Politik, wo komplexe Systeme mit hohen Unsicherheiten agieren, ist das Verständnis gruppendynamischer Prozesse essenziell.
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In Unternehmen helfen Group Relations Conferences, die impliziten Regeln von Teamstrukturen zu erkennen, Führungsstile kritisch zu hinterfragen und die Innovationsfähigkeit von Organisationen zu fördern.
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In der Politik wird das Format genutzt, um Phänomene wie internationale Konflikte, populistische Bewegungen, innere Blockaden in Institutionen oder die Dynamik von Machtwechseln zu analysieren.
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In NGOs und Bildungseinrichtungen fördern sie die Entwicklung von Führungspersönlichkeiten, die in der Lage sind, komplexe soziale Systeme zu navigieren und in Situationen der Unsicherheit Orientierung zu geben.
Ich selbst arbeite als Direktor oder Staffmitglied mit Gruppenbeziehungskonferenzen, zuletzt bei einer Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse (DGPT) unter Leitung von Renate G. Bugge und Mathias Lohmer. Immer wieder erlebe ich dabei, wie dieser Zugang Türen öffnet, die mit klassischen Workshops oder Trainings verschlossen bleiben.
Warum diese Erfahrung den Blick auf Führung verändert
Wer an einer Gruppenbeziehungskonferenz teilnimmt, verlässt das gewohnte Terrain. Es gibt keine Checklisten, keine Rollenspiele, keine Erfolgsgarantie. Aber es gibt die Möglichkeit, sich selbst und das eigene Wirken in Gruppen mit neuer Schärfe zu erleben.
Es ist eine intensive, manchmal auch verstörende, aber vor allem befreiende Erfahrung: Man lernt, den „unsichtbaren Kräften“ in Organisationen nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern sie zu erkennen und zu gestalten.
Wer verstehen möchte, was Führung jenseits von Techniken bedeutet, findet in Gruppenbeziehungskonferenzen einen Erfahrungsraum, der prägt.
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